Am Neumarkt, in unmittelbarer Umgebung der wieder aufgebauten Dresdner Frauenkirche, vollzieht sich seit 2004 eines der größten und ambitioniertesten städtebaulichen Experimente der jüngeren deutschen Geschichte. Auf 45 Hektar Brachland, aufgeteilt in 8 Bauquartiere in bester innerstädtischer Lage, wagt Dresden rund 60 Jahre nach seiner tragischen Zerstörung einen städtebaulichen Neuanfang — gleichsam eine Operation am offenen Herzen, und in seiner Bedeutung und Strahlkraft durchaus vergleichbar mit Megaprojekten wie dem Potsdamer Platz in Berlin oder der HafenCity in Hamburg.
Der Neumarkt in engerem Sinne bezeichnet den Platz rund um die wieder aufgebaute Dresdner Frauenkirche: Hier, am einstigen Mittelpunkt der Stadt, fließen drei kleinere Plätze zusammen und formen eine große, unregelmäßige Platzanlage; es sind dies der Neumarkt selbst, der vor dem Johanneum (Verkehrsmuseum) gelegene Jüdenhof sowie An der Frauenkirche.
Im weiteren Sinne umfasst das Neumarktgebiet den gesamten innersten, die Frauenkirche umgebenden Altstadtkern zwischen dem Residenzschloss im Westen, dem Kurländer Palais im Osten, der Brühlschen Terrasse im Norden und der Wilsdruffer Straße im Süden. Mit seinen zahlreichen barocken Bürgerhäusern, den prunkvollen Adelspalais und der weltberühmten steinernen Kuppel der Frauenkirche gehörte der Neumarkt vor 1945 zu den architektonischen und städtebaulichen Höhepunkten Dresdens.
Dass dieses geschichtlich so bedeutsame, über Jahrhunderte gewachsene Areal von den rigorosen Brüchen des sozialistischen Stadtumbaus weitgehend verschont blieb, darf als Glücksfall der jüngeren Geschichte Dresdens gewertet werden: Ein Großteil des Neumarktgebietes blieb bis zur politischen Wende 1990 Brachland; lediglich im Süden wurden durch den Kulturpalast und die Wohnzeilen der Wilsdruffer Straße städtebauliche Tatsachen geschaffen, die dem historischen Stadtgrundriss entgegen standen und heute kaum mehr rückgängig gemacht werden dürften. Ein in den frühen 1980er Jahren in Plattenbauweise errichteter Anbau an das gründerzeitliche Polizeipräsidium ist hingegen wieder abgerissen worden.
Dabei war der Wiederaufbau der Frauenkirche und ihres Umfelds nach dem Kriege zunächst fester Bestandteil städtischer Planungen gewesen; aus ideologischen und wirtschaftlichen Gründen rückte er jedoch mit den Jahren in immer weitere Ferne. Die Ruine blieb als monumentales Mahnmal erhalten, und der Fokus des staatlich gelenkten Aufbauprogramms konzentrierte sich auf andere Bereiche des kulturhistorischen Zentrums.
Zwar wurden auch im Umfeld der Frauenkirche die ausgebrannten Ruinen der 1945 zerstörten Bürgerhäuser kompromisslos abgeräumt; in den mit Trümmerschutt verfüllten Kellern schlummerte jedoch das steinerne Gedächtnis der Stadt über fünf Jahrzehnte weiter und bot ab 1990 die Möglichkeit, unmittelbar an das verlorene bauliche Erbe der Stadt anzuknüpfen.
Kurz vor der Wende wurde eine letzte, deutlich sensiblere Baumaßnahme der DDR am Neumarkt abgeschlossen: 1989 öffnete der „Dresdner Hof“ auf der Töpferstraße seine Pforten, das heutige Hotel Hilton.
Die unter Berücksichtigung des alten Straßenverlaufs errichteten Gebäude präsentierten sich im Gewand der Postmoderne und stellten erstmals Bezüge zu traditionellen Bauformen her. Die Zusammenlegung vieler kleiner Grundstücke zu einem einzigen Großblock stand jedoch weiterhin im Widerspruch zur Kleinteiligkeit des alten Platzes.
Mit dem Dresdner Hof entstand die heute von zahlreichen Kneipen und Restaurants gesäumte Münzgasse neu, und die Brühlsche Terrasse erhielt einen Abschluss nach Süden — ein zaghafter Schritt in Richtung Wiederbelebung des öden Platzes. Der großflächige Wiederaufbau des Neumarktgebietes sollte zu diesem Zeitpunkt allerdings weitere 15 Jahre auf sich warten lassen.
Den zweiten und dritten Teil dieses Artikels finden Sie hier:
Der Neumarkt (II): Die Kontroverse
Der Neumarkt (III): Die Projekte