Mit dem Beginn des Wiederaufbaus der Frauenkirche im Jahre 1996 wurde die Frage nach der künftigen Gestalt des umgebenden Neumarkts aktueller denn je.
Um die Jahrtausendwende konkretisierte sich ein — bereits in den 1980er Jahren diskutiertes — städtebauliches Konzept, das die Errichtung ausgewählter „Leitbauten“ vorsah: Eine kleine Zahl an gut dokumentierten, kulturgeschichtlich und städtebaulich besonders wertvollen Gebäuden sollte rekonstruiert und durch architektonische Neuschöpfungen ergänzt werden.
Diese zuweilen als „Füllbauten“ bezeichneten Neuschöpfungen sollten sich einerseits zeitgenössisch präsentieren, anderseits aber hinsichtlich Gestaltung und Materialwahl den Vorgaben der Leitbauten folgen und so zur Entstehung eines stimmigen Gesamtensembles beitragen.
Die Interpretation dieser Vorgabe hat von Anfang an für aufgeheizte Architekturdebatten gesorgt: Vertreter einer konsequent modernen bzw. modernistischen Architekturauffassung wehrten sich gegen eine barocke „Puppenstube“, eine Art „Disneyland“ am Neumarkt; gleichzeitig gründete eine Reihe von engagierten Bürgern 1999 die Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND) und stritt fortan vehement für einen so weit wie möglich am Vorkriegszustand orientierten Wiederaufbau.
Während insbesondere die Architektenschaft immer wieder die fehlende Authentizität eines künstlichen, auf „alt“ getrimmten Platzes betonte, verwies die GHND auf das durch Krieg und Sozialismus verlorene Stadtbild, das — mit Blick auf die lange und ruhmreiche Geschichte Dresdens als Kunst- und Kulturstadt — wenigstens in Ansätzen wiedergewonnen werden müsse.
Die GHND kämpfte zunächst erfolgreich für eine deutliche Erhöhung der Anzahl an zu rekonstruierenden Leitbauten.
Der Versuch, mithilfe eines Bürgerbegehrens auch die Einhaltung gestalterischer Vorgaben durch die Bauherren als rechtsverbindlich durchzusetzen, scheiterte allerdings. Die im Zuge des Bürgerbegehrens gesammelten, mehr als 60.000 Unterschriften Dresdner Bürger zeugen jedoch vom starken Rückhalt des Vereins in der Bevölkerung.
Neben den Kontroversen um die Gestaltung einzelner Fassaden gab es im Vorfeld des 2004 einsetzenden Baubooms auch eine ausgeprägte Debatte um Erhalt oder Abriss der überwiegend noch erhaltenen historischen Kelleranlagen: Als ab 2004 die archäologischen Grabungen die Neubebauung der Grundstücke vorbereiteten, kamen barocke Gewölbetonnen und Treppen zu längst vergessenen Luftschutzräumen wieder zum Vorschein.
Während insbesondere die Gesellschaft Historischer Neumarkt für den Erhalt der Kellersubstanz als „historischen Anker“ der Neubebauung kämpfte, entschied sich die Mehrzahl der Investoren, die Keller abzureißen und neue Betonfundamente zu gießen; hierbei waren sowohl Kosten- als auch Hochwasserschutz-Argumente ausschlaggebend.
Bei einzelnen Objekten wurden jedoch besonders gut erhaltene Kelleranlagen ertüchtigt und z.B. als Weinkeller oder Wellness-Bereiche in die neuen Gebäudekomplexe integriert.
Die wohl am leidenschaftlichsten geführte Neumarkt-Debatte war jedoch der Streit um das sog. Gewandhaus: Die Stadtplanung der Landeshauptstadt Dresden sah vor, auf der Fläche des bereits 1791 abgerissenen alten Gewandhauses ein neues Gebäude errichten zu lassen, in dem u. a. eine Kunstsammlung Platz finden sollte. Befürworter dieses Vorhabens argumentierten, durch eine Neubebauung der Fläche werde der Neumarkt in eine städtebaulich reizvolle, dem Geiste des Barock entsprechende Abfolge kleinerer „Piazetten“ gegliedert. Gegner sahen in dem Neubau — gleich welcher Gestalt — eine neue städtebauliche Dominante am Platz, die zwangsläufig in Konkurrenz zur Frauenkirche trete.
Als im Mai 2007 die Entwürfe eines Architekturwettbewerbs zur Gestaltung des Neubaus veröffentlicht wurden, brach ein Sturm der Entrüstung los. Die FDP initiierte sogar ein Bürgerbegehren und formulierte in Ihrem Aufruf: „Lassen Sie nicht zu, dass der Gewandhausplatz mit einem modernen Bauwerk verunstaltet wird und die noch frischen Wunden im Herzen unserer Stadt neu aufgerissen werden. Kämpfen Sie mit uns gegen die Arroganz dieser modernen Architektur.“
Nachdem die Bebauung der Gewandhausfläche im April 2008 zunächst für 10 Jahre ausgesetzt worden war, beschloss der Dresdner Stadtrat im Juni 2010 endgültig, die Fläche unbebaut zu lassen und stattdessen den Platz in den Dimensionen der Vorkriegszeit wieder herzustellen. Die Realisierung eines — 2007 parallel zum laufenden Wettbewerb veröffentlichten — alternativen Bebauungsvorschlages der Gesellschaft Historischer Neumarkt gilt als wahrscheinlich.
Die um das künftige Antlitz des Neumarkes geführten Architekturdebatten haben weit über Dresden hinaus Beachtung gefunden. Der deutschlandweit zu beobachtende Trend zur Wiederherstellung von im Krieg verlorenen Stadtbildern (siehe ähnliche Bestrebungen in Berlin, Frankfurt, Nürnberg oder Potsdam) ist von dem Baugeschehen am Dresdner Neumarkt maßgeblich mit beeinflusst worden.
Das Werden des neuen Neumarkts und die damit verbundenen Kontroversen sind ein in vielerlei Hinsicht spannender gesellschaftlicher Prozess, in dem das Ringen um städtische und lokale Identität in einer Zeit rasanter globaler Veränderungen beispielhaft beobachtet werden kann.
Den ersten und dritten Teil dieses Artikels finden Sie hier:
Der Neumarkt (I): Die Aufgabe
Der Neumarkt (III): Die Projekte